this post was submitted on 22 Aug 2023
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[–] [email protected] 19 points 1 year ago* (last edited 1 year ago) (1 children)

Wenn es nur die Finanzierung wäre, könnte jede:r Psychotherapeut:in in Ausbildung einen Bildungskredit aufnehmen und die Sache wäre gegessen. Aber es ist so. viel. mehr. als. das. Die Ausbildung ist komplett Banane, gewachsen auf einem System der Ausbeutung und des Bildungswuchers, aber weil alle Beteiligten selbst einmal durch seine Mühle getrieben wurden, sind wir alle derart daran gewöhnt, dass das System blind dafür geworden ist, wie bizarr es eigentlich funktioniert.

Kurzüberblick über die Ausbildung, für die man monatlich mehrere hundert Euro hinlegt:

Im ersten Ausbildungsabschnitt (nach mind. 5 Jahren Studium, einem Bachelorabschluss und einem Masterabschluss) ist man die ersten 1,5 Jahre im Praktikum. Man hat rechtlich und hierarchisch den Stand eines Kaffeekochers, nicht einmal Anspruch auf Mindestlohn. Da die Kliniken aber mit den "PiAs" kalkulieren und diese als ganz normale, billige Arbeitskräfte einsetzen, bekommt man von Tag 1 an den Workload und die Verantwortung einer nach TVöD14 bezahlten Fachkraft.

Im zweiten Ausbildungsabschnitt muss man sich selbstständig machen. Es läuft so: Wir behandeln Patient:innen, melden unserem Institut wie viel wir gearbeitet haben, die rechnen mit den Krankenkassen ab und erhalten das Geld dafür. Danach, wenn die Institute bezahlt worden sind, dürfen wir eine Honorarrechnung stellen, um einen Teil dessen ausgezahlt zu bekommen, was wir erwirtschaftet haben (typischerweise 4-6 Monate danach). Von 100€ pro Therapiestunde bekommt das Institut 60€ als Gebühr und dann nochmal 4-10€ Raummiete. Für jede vierte Therapiestunde müssen wir eine Stunde Supervision bezahlen, das kostet uns jeweils 100€ pro Stunde, die das Institut direkt abzieht. Die Arbeit außerhalb unserer Therapiestunden, also Dokumentation, Befunde, Testauswertungen, Arztbriefe etc. wird natürlich gar nicht bezahlt. Gerade am Anfang kommen auf eine Therapiestunde (für die man ~37€ abzüglich Supervisionsgebühren erhält) easy 4-6 Stunden Vor- und Nacharbeit. Rechtlich und steuerlich haben wir das volle Risiko eines ganz normalen Selbstständigen, müssen uns selbst versichern und eine Steuererklärung abgeben. Aber weil es so wenig Geld abwirft, das nicht einmal die Ausbildungsgebühren gedeckt werden können, schafft kaum jemand diese Ausbildungsabschnitt in Vollzeit, sondern brauchen einen 50-80% Klinikjob nebenbei, wodurch sich dieser Teil der Ausbildung gerne mal auf 2-4 Jahre streckt.

Jedes zweite Wochenende finden Seminare statt. Manche Institute legen diese SA-SO, andere FR-SA, allerdings hat man in den Kliniken natürlich keinen Anspruch auf zusätzliche Fortbildungstage, mit denen das ausgeglichen werden könnte.

Die Ausbildung ist eine schöne Sache, wenn man wohlhabend verheiratet ist, keine anderen Verpflichtungen oder Probleme im Leben hat, psychisch resilient, verausgabungsbereit sowie frustrationstolerant ist und es insgesamt nicht so eilig hat, mit der Ausbildung fertig zu werden. Vor 30 fertig zu sein kann man als Psychotherapeut:in fast vergessen, selbst wenn man direkt nach dem Abi loslegt.

Nach der Ausbildung ist das wirtschaftlich schlaueste übrigens für die Institute zu arbeiten oder Supervision anzubieten. Nirgendwo sonst haben wir es so leicht, mit wenig Arbeit richtig viel Geld zu machen. Kann halt passieren, dass man dann eines Tages selbst anfängt, zu rechtfertigen, was für ein Murks hier seit Jahrzehnten gemacht wird.

[–] [email protected] 8 points 1 year ago (1 children)

Wie es stattdessen gehen könnte: Die Institute als Ausbildungsstätten bieten Ausbildungsverträge an, mit denen die PiAs dort angestellt sind, Therapie (unter Supervision) machen, am Ende des Monats ein über der Grundsicherung liegendes Gehalt bekommen und nach 3-4 Jahren ihre Abschlussprüfung ablegen. Wie in quasi jeder anderen Ausbildung eben auch. Hierfür müsste man die bestehenden ~~Gelddruckmaschinen~~ Institute allerdings natürlich auflösen und viele wohlhabende Psychotherapie-Dozent:innen würden ihre Jobs verlieren. Dreimal dürft ihr raten warum es also niemals soweit kommen wird.

[–] [email protected] 4 points 1 year ago (1 children)

Angesichts der Tatsache, das viele kleinere Institute gerade die Einstellung der Tätigkeit laut bedenken oder bereits verkündet haben scheint irgendwas an deinen Vorurteilen irgendwie nicht ganz zu stimmen.

Was mich an den PTs egal welchen Alters immer massiv irritiert, ist dass sie sich von jeder noch so durchsichtigen Aktion gegeneinander hetzen lassen und die tatsächlich verantwortlichen Leute stehen daneben und lachen sich scheckig.

Egal obs Ärzte, KK Vertreter, Krankenhausvertreter oder (wie hier) Politiker sind.

Die halten ein Stöckchen hin und schon springt man drüber und giftet sich innerhalb der eigenen Berufsgruppe an.

VT gegen PA, jung PIA gegen Alt Approbierte, irgend eine Front findet sich schon immer.

(Die ganzen „wohlhabenden Dozenten“ - sind die hier im Raum?)

[–] [email protected] 4 points 1 year ago* (last edited 1 year ago)

Ich bin nicht gegen die Approbierten, die in den Instituten arbeiten, viele meiner Freunde machen das. Aber es ist aus meiner Sicht einer der "störungsaufrechterhaltenden Faktoren" dieses Systems. Es ist von Grund auf fragwürdig aufgebaut, erhält sich aber vor allem selbst. Wenn das neue Studium zum Niedergang aller Institute beitragen würde, zu deren Gunsten dann arbeitnehmerfreundliche Ausbildungsstätten entstehen würden, wär ich die erste, die jubelt. Ich glaube aber, dass sich schon allein aus Gewohnheit und Bequemlichkeit (weil damit seitens Unis, Instituten, Supervisor:innen, Kliniken, Krankenkassen und Ärzteverbänden möglichst wenig Aufwand entstehen würde) die alten Strukturen wieder genauso durchsetzen werden.

Wie viele Ausbildungen kennst du, in denen sich die Azubis selbstständig machen müssen, und parallel einen Zweitjob brauchen, um finanziell irgendwie zu überleben? Wie viele sollte es geben?