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Sie hat weniger Speicherplatz als ein moderner Autoschlüssel. Und ihr ursprünglich angedachtes Lebensende schon vor knapp 42 Jahren überschritten. Die Raumsonde Voyager 2 ist eine Greisin der Weltraumforschung. Und erzählt, wie es Greise manchmal können, eine fesselnde Geschichte über den menschlichen Entdeckergeist, über Missgeschicke und das Durchhaltevermögen unserer Spezies.
Diese Geschichte erzählt die Raumsonde immer noch – obwohl sie vor einigen Tagen den Kontakt zur Erde verloren hat.
Am 28. Juli gab die US-amerikanische Weltraumbehörde Nasa bekannt: Die Voyager 2 sei derzeit nicht in der Lage, Befehle zu empfangen oder Daten zur Erde zu senden. "Eine Reihe geplanter Befehle" hätte dazu geführt, "dass die Antenne versehentlich um zwei Grad von der Erde weg ausgerichtet wurde." Ups, einmal in der Schaltstelle des Deep Space Network daneben gedrückt – und schon fällt die Kommunikation zwischen der Bodenstation und einem viele Millionen Dollar teuren Forschungsinstrument aus, das knapp 20 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt durch die Tiefen des Weltalls saust.
Das ist aus verschiedenen Gründen aber gar nicht so schlimm.
Hält die Sonde bis Oktober ihren Kurs?
Die Raumsonde ist der Nasa zufolge so programmiert, dass sie ihre Antenne mehrmals im Jahr automatisch auf die Erde ausrichtet. Die nächste Neuausrichtung ist für den 15. Oktober geplant. "Sobald die Antenne der Raumsonde wieder auf die Erde ausgerichtet ist, sollte die Kommunikation wieder aufgenommen werden", heißt es in der Mitteilung. Signale der Sonde konnten bereits registriert werden, sie sendet brav weiter. Noch in dieser Woche soll außerdem der Versuch starten, die Umgebung der Voyager 2 von der Canberra-Antenne in Australien aus mit dem richtigen Befehl zu bestrahlen – in der Hoffnung, dass er die Sonde trifft. Und selbst wenn nicht, gehe die Nasa davon aus, dass die Voyager 2 einfach auf ihrer vorgesehenen Flugbahn weiterfliegen werde.
In der Zeit, in der Funkstille herrscht, würde die Sonde vermutlich auch dann keine bahnbrechenden Erkenntnisse liefern, wenn sie erreichbar wäre. Das hat sie längst getan.
Die Voyager 2, die im Sommer 1977 ihre Reise durch das All angetreten hat, ist die einzige Raumsonde, die alle vier Riesenplaneten des Sonnensystems aus nächster Nähe untersucht hat – Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Zum Teil war sie das erste von Menschenhand geschaffene Objekt, das an diesen Planeten vorbeiflog. Sie offenbarte einen 14. Jupitermond, zehn neue Monde und zwei neue Ringe auf dem Uranus und fünf Monde, vier Ringe und einen "großen dunklen Fleck", ein Sturmsystem, auf dem Neptun.
Die Sonden entdeckten Vulkanmonde und Eismeere
Zusammen mit ihrer baugleichen Zwillingssonde Voyager 1 machte die Voyager 2 bis zum Ende der Achtzigerjahre mehr als 33.000 Fotos von Jupiter und dessen Himmelskörpern. Ihre Bilder zeigten Vulkane auf dem Jupitermond Io – und zum ersten Mal sah der Mensch aktive Vulkane, die nicht auf der Erde brodelten.
Sie lieferten neue Hinweise darauf, dass sich unter der Eiskruste des Mondes Europa womöglich ein Ozean verbirgt. Sie zeigten, dass die Monde in unserem Sonnensystem bunt und vielfältig und unterschiedlich sind.
Und dabei muss man sich klarmachen: Die Voyager-Sonden stammen aus den Siebzigerjahren, sie haben verschiedene Messinstrumente und drei Computersysteme an Bord, aber kaum Software, keinen Mikroprozessor und nur 69 Kilobytes Speicherplatz. Zum Vergleich: Der erste iPod, der 2001 vorgestellt wurde, hatte eine 5-Gigabyte-Festplatte. Die gesammelten Daten, die auf Magnetbändern gespeichert werden, können über einen 23-Watt-Sender zur Erde zurückgeschickt werden. Auf so viel elektrische Leistung bringt es auch die Glühbirne in Ihrem Kühlschrank.
Angetrieben werden die Sonden über Radioisotopen-Thermogeneratoren – Minireaktoren, die durch den Zerfall von radioaktivem Material Wärme generieren, die wiederum in Strom umgewandelt wird. Diese Energiequelle ist endlich: Die Leistung der Reaktoren nimmt pro Jahr um etwa vier Watt ab. Um die Sonden weiterhin am Leben zu halten und Energie zu sparen, schalten die Verantwortlichen bei der Nasa nach und nach verschiedene Instrumente ab – darunter in den Neunzigerjahren auch die Kameras. Hinter dem Neptun kommt aber auch erst einmal nicht mehr viel, was fotografiert werden müsste.
Hinweise auf das Ende der Heliosphäre
Lange nach ihrer Karriere als Mond-Entdeckerin sorgte die Voyager 2 im Jahr 2018 ein weiteres Mal für Schlagzeilen. Ihre Messinstrumente lieferten damals einen konkreten Hinweis auf etwas, was Forschende bis dahin nur an einer bestimmten Stelle im All vermuten konnten: auf die Grenze zwischen dem interplanetaren und dem interstellaren Raum – auf das Ende der Heliosphäre.
Die Sonne sendet, wie alle Sterne, einen Strom geladener Teilchen in alle Richtungen aus: den Sonnenwind. Dieser Wind bildet eine Art Hülle aus Teilchen und Magnetfeldern um einen weiten Bereich um die Sonne herum. Das ist die Heliosphäre. Wie genau sie geformt ist, ist bislang nicht bekannt. Die Heliosphäre bläht sich auf wie ein Ballon. Gebremst wird sie dabei durch den Druck der interstellaren Materie. Auf diese Weise entsteht die Heliopause – eine mehr oder weniger klare Grenze zwischen der Heliosphäre und dem Außenrum.
Die Sonde Voyager 1 hatte die Heliosphäre bereits im Jahr 2012 verlassen. Allerdings war ein relevantes Bordinstrument – das Plasma Science Subsystem, das die Sonnenwindpartikel messen kann – schon mehrere Jahrzehnte zuvor ausgefallen. Anders als auf der Voyager 2. Weil diese eine längere Strecke zurückgelegt hatte, durchflog sie die interstellare Grenze mehrere Jahre später als ihre Schwestersonde, doch dafür mit intaktem Instrumentarium. Und das Messinstrument registrierte auf einen Schlag deutlich weniger Sonnenwindpartikel pro Sekunde. Ein entscheidender Hinweis darauf, dass in einer Entfernung, die ungefähr 120-mal so groß ist wie die Entfernung von der Sonne zur Erde, tatsächlich die Heliopause liegt.
Die markiert allerdings nicht die Grenze des Sonnensystems. Wo diese verläuft, steht nicht fest. Fachleute schätzen aber, dass die Voyager 2 mindestens 30.000 Jahre brauchen wird, um sie zu erreichen. Falls es jemals dazu kommt – ihre Beobachtungen davon wird sie dann nicht mehr zur Erde schicken können.
Jeder weitere Tag ist ein geschenkter Tag
"Wenn alles gut läuft, können wir die Missionen vielleicht bis in die 2030er-Jahre verlängern", sagte die Astronomin Linda Spilker, die seit 1977 am Voyager-Programm beteiligt ist, gegenüber der Zeitschrift Scientific American.
Dass die beiden Sonden aber überhaupt so lange durchgehalten haben, ist vielleicht kein Wunder, doch aber ein Zeichen der erstaunlichen Kunstfertigkeit ihrer Erbauer. Ursprünglich war die Mission für vier Jahre angesetzt. Mittlerweile sind es knapp 46 Jahre, das sind für Menschenleben zwei Generationen. Die Voyager 2 ist in dieser Zeit so weit gereist, dass es nun mehr als 18 Stunden dauert, bis ein Signal aus dieser Entfernung die Erde erreicht – und das mit Lichtgeschwindigkeit.
Jeder Tag, an dem die Voyager 2 weiter fliegt, ist also ein geschenkter Tag. Jeder weitere Tag ist mehr, als die Menschheit 1977 hoffen konnte. Und klar ist: Irgendwann, eher bald, werden wir den Kontakt zur Voyager 2 endgültig verlieren.
Ihre – unsere – Geschichte wird sie aber auch dann noch erzählen können. Denn die beiden Voyager-Sonden tragen jeweils eine vergoldete Kupfer-Schallplatte bei sich, die ein umfassendes Bild der Menschheit vermitteln soll. Auf den sogenannten Golden Records sind Bilder, Audioaufnahmen und Musikstücke gespeichert (wenn es Sie interessiert: Die ganze Playlist finden Sie hier). Die Anleitung zur Entschlüsselung ist auf der Vorderseite eingraviert.
Und wer weiß: Vielleicht findet irgendwann, wenn die Menschheit längst ausgestorben und die Sonne längst erloschen ist, eine intelligente außerirdische Spezies die Voyager 2. Und vielleicht klickt sie sich (falls sie klickt) durch die Bildergalerie, staunt über die Fotos von Delfinen, von einem Supermarkt und dem Flughafen in Toronto, und wippt mit ihren Tentakeln im Takt zur Arie der Königin der Nacht.