Und das war es jetzt … nein, noch nicht ganz. St. Afra an jenem Sonntagmorgen: Wieder knien, wieder singen, wieder stehen, kurz verbeugen und dann gehen. Am Tischchen vorbei geht's raus. Wie jung hier alle sind und wie gut angezogen. Kein Vergleich zur Ü60-Kirche anderswo. Drei Gottesdienstbesucher um die zwanzig nehmen den Weg Richtung S-Bahn. Keine blaue Arbeitshose, kein Unterhemd. Dafür Sneaker, Seitenscheitel, teures Hemd unterm teuren Pulli. Alles ist Ton in Ton, und doch stimmt's nicht. Vielleicht liegt es an der guten Laune. Daran, wie die drei über die CDU witzeln ("viel zu weich"), über fremdländische Männer (nicht zitierbar), über Frauen (schon gar nicht zitierbar) und über Geld und wie schön es ist, es zu haben.
Alles wird bewertet, abgewertet, lächerlich gemacht. So spricht das Ressentiment der Privilegierten. Es kompensiert keinen tief sitzenden Frust, keine reale oder gefühlte Deklassierung. Es ist die inszenierte Unangreifbarkeit. Die Szene nach dem Gottesdienst ist ganz anders als das Sylter Partyvideo, das einige Wochen später weit verbreitet werden wird – und doch erinnern sie einander, die beiden Auftritte junger Leute, die berauscht sind von sich selbst.
Am 9. Juni ist Europawahl. Danach wird wahrscheinlich wieder gerätselt werden: Wie war das möglich mit der AfD? Lag's am Osten, an der EU, an Merkel, Scholz, den Grünen, an der Selbstgewissheit der Bundesrepublik acht Jahrzehnte nach der Stunde null? Dann ist wieder Untergangsstimmung. Doch an diesem Sonntagmorgen ist der Himmel blau und Berlin noch gar nicht richtig wach. Die Welt könnte so schön sein, so friedlich. Aber der Geist dieser Rechtsgläubigen ist es nicht.
Man sollte sich nicht täuschen lassen. Von diesen rechten Christen geht eine Gefahr für unsere Freiheit und unsere Demokratie aus. Nur weil es in den USA schlimmer ist, ist es hier nicht harmlos.