Wenige Wochen vor den Kommunal- und Europawahlen werden Politiker immer wieder angefeindet und brutal angegriffen. Für Politiker mit Migrationsgeschichte ist das keine neue Situation. Wie erleben sie den Wahlkampf?
Was Hass bedeutet, habe sie Anfang Mai gespürt, erzählt Nurgül Senli. Die Linken-Politikerin war unterwegs in ihrem Wahlkreis in Rostock und sah, wie ein Mann ihr Wahlplakat zerstörte. Senli stellte ihn zur Rede: "Daraufhin ist er ganz aggressiv auf mich los und hat dann gepöbelt: 'Du siehst doch auch schon aus wie eine Kanackin - euch sollte man alle an eine Wand stellen'", erinnert sie sich.
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Nur wenige Kilometer weiter macht der SPD-Politiker Seyhmus Atay-Lichtermann Wahlkampf. Auch er kandidiert für die Bürgerschaft in Rostock, und auch er hat Migrationsgeschichte. Seit seiner Kandidatur schlägt ihm auf Social Media rassistischer Hass und Hetze entgegen. Er solle Deutschland verlassen, habe als Mensch mit Migrationshintergrund nichts in der deutschen Politik zu suchen.
Die Stimmung von heute erinnere ihn an seine Jugend - 1999 kam er als 14-Jähriger mit seiner Familie aus der Türkei nach Rostock. Damals waren Rassismus, Hass und Gewalt auf den Straßen allgegenwärtig. Die Familie zog in den Stadtteil Lichtenhagen, in eine Wohnung nur wenige Meter entfernt vom Sonnenblumenhaus, dem Wohnblock, den ein rechter Mob im Sommer 1992 tagelang belagerte und mit Molotowcocktails in Brand setzte.
Die rechte Gewalt in Lichtenhagen prägt auch das Leben von Atay-Lichtermann. An seine eigenen Erfahrungen im Viertel, an die Tritte, die Schläge, die rassistischen Beleidigungen erinnere er sich bis heute, sagt er. "Es war wie ein Kriegsgebiet für uns. Auch wenn es das vielleicht nicht war, aber ich habe das als Kind so empfunden. Es gab keinen Tag, an dem ich nicht von Skinheads angegriffen wurde." Das Trauma von damals sei heute wieder spürbar. Ein Gefühl, mit dem er nicht alleine ist.
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Ahmed Bejaoui ist 2015 aus Tunesien nach Deutschland gekommen. Jetzt kandidiert er für die Grünen für den Stadtrat in Chemnitz. Im Sommer 2018, als sich in der Stadt tagelang Rechtsextreme zusammenrotteten und Migranten durch die Straßen jagten, sei auch er gejagt worden, erzählt Bejaoui. Auch danach sei er immer wieder auf der Straße verprügelt und rassistisch beleidigt worden. Erfahrungen, die für Ahmed Bejaoui auch jetzt im Wahlkampf wieder präsent sind. Beim Flyer verteilen vor einigen Tagen schreit ihm eine Frau entgegen: "Alle weg, alle erschießen - dich zuerst!" Bejaoui lächelt ungläubig, dann lacht er und schüttelt den Kopf. "Ich kann nur darüber lachen, weil: Wenn ich jetzt darüber nachdenken würde, dann sind wir ja bei 1933."
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