Am 24.11.2023 hat der Bundesrat gegen die Gesetzesänderung des Straßenverkehrsgesetzes gestimmt. Das ist ein ziemlicher Skandal. Der ADFC-Bundesvorsitzende Frank Masurat sagt: „Es ist unfassbar: Sowohl das Bundesverkehrsministerium als auch der Verkehrsausschuss im Bundesrat haben sich klar dafür ausgesprochen, dass der Radverkehr mehr Platz braucht – und um Zustimmung für die Reform des Straßenverkehrsgesetzes geworben. Trotzdem haben neun Bundesländer der dringend notwendigen Reform in letzter Minute die Zustimmung verweigert.“ (https://www.adfc.de/neuigkeit/bundesrat-blockiert-stvg-reform)
Wer nicht weiß, worum es in der Änderungsvorlage ging, dem sei das ADFC Dossier dazu empfohlen: https://www.adfc.de/artikel/adfc-fordert-reform-des-strassenverkehrsgesetzes Es geht darum, es Kommunen zu erleichtern Tempo 30 einzurichten, Klimaverträglichkeit als Faktor bei Maßnahmen mit in Betracht zu ziehen und Städte wieder lebenswerter zu machen.
Versuchen wir also diesen Major-Fuckup bei der Bundesratsabstimmung zu Drucksache 548/23
nachzuvollziehen. Allerdings müssen wir feststellen: irgendwie ist das alles kaputt 😢
Zunächst interessiert uns: wie ging die Abstimmung überhaupt aus?
Auf der Bundesrats-Webseite lesen wir:
Wie die einzelnen Länder in der Plenarsitzung abstimmen, wird grundsätzlich nicht festgehalten. Die Länder veröffentlichen ihr Abstimmungsverhalten aber online: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. https://www.bundesrat.de/DE/bundesrat/br-plenum/stimmabgabe/stimmabgabe-node.html
Der Bundesrat ist demnach nicht in der Lage oder nicht gewillt, Abstimmungen ordentlich zu dokumentieren und darzustellen.😮 Erstaunlich. Interessierte Bürger müssen folglich durch 16 Einzelseiten, die von den jeweiligen Ländern verwaltet werden und deshalb alle unterschiedlich aussehen, klicken, den korrekten Termin rauspopeln, dann warten und sich überraschen lassen, welche Art von Datei ihnen entgegenfällt (pdf, word, odt), das Dokument öffnen - im Fall von Word thoughts & prayers, dass die Darstellung korrekt ist - dann im Dokument nach der Drucksache suchen und entnehmen, wie das jeweilige Land abgestimmt hat, nachdem man die Darstellung verstanden hat, die natürlich auch pro Land variiert.
Entschuldigung, aber es ist echt lange her, dass mir als Bürger jemand derart einen Stinkefinger 🖕 ins Gesicht gehalten hat, lieber Bundesrat.
Wir reden in diesem Land seit Jahren über Digitalisierung, niederschwellige Beteiligung, Bürgernähe, Politikverdrossenheit, gefährliche Tendenzen des Populismus und vieles mehr, und das beste, womit der Bundesrat ankommt, ist das oben beschriebene System? Selbst befreundete promovierte Politologen waren überrascht darüber, wie kaputt dieses System ist.
Wie wurde beispielsweise in Niedersachen abgestimmt?
Laut obiger Grafik ist Niedersachen rot grün regiert. Das sollte doch für eine Zustimmung gereicht haben. Leider sind zwar auf der Webseite des Landes Niedersachsen, das Land ist ja selbst für die Dokumentation des Abstimmungsverhaltens verantwortlich, in nicht maschinenlesbar Form, ein paar PDFs auffindbar. Das Abstimmungsverhalten vom 24.11.2023 fehlt jedoch. Wird sicher noch nachgeliefert, aber warum beschleicht mich als Bürger schon wieder das Gefühl hier nicht ernst genommen zu werden? https://www.niedersachsen.de/politik_staat/bundesrat/abstimmungsverhalten_niedersachsen_im_bundesrat/abstimmungsverhalten-niedersachsens-im-bundesrat-157696.html
Und wie wurde in Baden-Württemberg abgestimmt?
Obwohl in Baden-Württemberg die Grünen die stärkste Fraktion sind, den Ministerpräsidenten stellen, viele Ministerien bekleiden u.a. das Verkehrsministerium, in dessen Kompetenzbereich die fragliche Gesetzesänderung fällt, haben sie sich nicht gegenüber der Lobbyistenpartei CDU durchsetzen können. BW hat nämlich der Änderung nicht zugestimmt.
Man kann versuchen, das Abstimmungsverhalten mit Gepflogenheiten zu erklären, denn wenn eine Koalition sich nicht einigt, ist es üblich, dass sie sich enthält. Enthaltungen gibt es nicht, also wird dagegen gestimmt. Tipp topp, die Autolobby freut sich, Punkt für die Konservativen. Jedoch gab es auch schon Fälle, wo dann anders abgestimmt wurde. Sie hätten es also durchaus darauf ankommen lassen können.
Ironiepunkte gibt es für das Land dennoch: Winfried Hermann hat kurz vor der Abstimmung ein flammendes Pladoyer gehalten für die Gesetzesänderung, die auch vom BMDV beführwortet wurde. Und wenn schon die Lacktrinker aus dem BMDV dafür sind, kann die Gesetzesänderung so autofeindlich nicht sein. https://www.bundesrat.de/DE/service/mediathek/mediathek-node.html?cms_id=0_5ngsv3at
Und zu Regierungsfähigkeit zählt eben auch, eigene Kernthemen durchzusetzen. Aber vermutlich ist die #Autolobby in diesem Land einfach zu mächtig. Die Freunde vom @[email protected] dem Radentscheid aus Stuttgart können das sicher bestätigen, wie es in der Autostadt Stuttgart so zugeht. Praktischerweise sitzt da auch gleich der Landtag - kurze Wege für die Lobbyisten aus dem Automobilsektor. Praktisch.
Das wirft natürlich auch die Frage auf, wo Gesetzesvorhaben der Konservativen von den Grünen BW sabotiert worden waren im Bundestag. Gab es da Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit? Vielleicht weiß jemand etwas dazu und kann es als Kommentar hinterlassen?
Abstimmungsverhalten Übersicht
Eine Übersicht gibt es nicht. Falls jemand die Nerven hat, eine Zusammenstellung des Abstimmungsergebnis zu erstellen (ohne Niedersachsen, weil das ist ja nicht bekannt), wäre das super. Würde uns sehr interessieren.
So weit ich weiß, ist gesetzlich vorgeschrieben, dass Länder geschlossen abstimmen müssen. Da die meisten Landesregierungen (außer im Saarland) Koalitionen sind, heißt das, dass sich die Koalition irgendwie einigen muss. Dafür sehe ich jetzt drei Optionen:
Die ersten zwei Optionen würden eine stabile Landesregierung wohl unmöglich machen, daher Option 3.
Nun ist bei Zustimmungsgesetzen eine absolute Mehrheit nötig. Das bedeutet, dass eine Enthaltung im Prinzip wie eine Ablehnung zählt. Zusammengenommen bedeutet das, dass Zustimmungsgesetze nur dann durch den Bundesrat kommen, wenn eine breite Mehrheit (meist Union+SPD+Grüne) dafür ist. Somit kann im Prinzip jede der drei Parteien jedes Zustimmungsgesetz blockieren, zur Zeit nutzt das vor allem der CDU. Während der GroKo übrigens konnten die Grünen das nutzen, unter anderem um die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsländer und eine 2%-Hürde bei Europawahlen zu blockieren.
Bei Ablehnungsgesetzen wiederum ist offiziell eine absolute Mehrheit im Bundesrat gegen das Gesetz notwendig, um es zu blockieren, sodass die Enthaltung einer Landesregierung effektiv als Zustimmung wirkt. Hier reicht es also im Prinzip aus, wenn eine der drei oben genannten Parteien dafür ist, damit das Gesetz durch den Bundesrat kommt. Zudem kann der Bundestag eine Ablehnung durch den Bundesrat mit absoluter Mehrheit überstimmen, eine Mehrheit, die die Ampel hat. Nur wenn Zweidrittel des Bundesrats geschlossen gegen ein Ablehnungsgesetz stimmen würden, wäre dieses ernsthaft in Gefahr.
Was spräche dagegen, Bundesratsmitglieder frei entscheiden zu lassen, so wie es ja Bundestagsmitgliedern zumindest auf dem Papier theoretisch zugestanden wird? Muss man sein Hirn abschalten, sobald man den Bundesrat betritt und dient dann nur noch als fremdbedtimmtes Stimmvieh? Wie erbärmlich.
@ebikefolder @manucode BUndesratsmitglieder werden von den Bundesländern entsandt, nicht frei gewählt.Der Bundesrat ist als Repräsentationsorgan der Bundesländer aufgestellt, nicht des Volkes.